Shinto - Sekai
"Mein Freund, ich bin der Gott des Unglücks
aber ich bin auch der Gott des Umsturzes
ich rebelliere gegen alles, ich bin der Gott des Umsturzes"
(Fukou no Kami)
Die Welt als Zwang und Illusion im Widerspiel zwischen Mikro- und Makrokosmos in 12 Epsioden: Umsturz und Weltende verweben sich mit Liebe, Alltag, Ausscheidung, Sexualität. Radikales Denken und Handeln und dessen Scheitern im Alltäglichen durchziehen die Texte auf Sekai, deren Schwerpunkt auf Sichtweisen japanischer politisch - kultureller Randgruppen oder Individuen, nicht zuletzt der marginalisierten, wenig bekannten ultra-linken, liegt. Damit gelingt es ihnen, eine originelle Perspektive auf die Welt zwischen Globalisierung und Einzelschicksal, den Menschen zwischen Alltag und Illusionen, aufzutun.
Mit archaisch anmutenden Flöten und Trommeln beginnt Hagoromo, eine Adaption des gleichnamigen Noh-Theater-Stücks des Authors Zeami (14.jhd). Ein Fischer will eine Fee erpressen für sie zu Tanzen, doch sie belehrt ihn: "Der Zweifel gehört dem Menschen. Im Himmel gibt es keine Unwahrheit!" Die folgenden, elektronischer gehaltenen Songs behandeln die Zerrissenheit des Menschen zwischen Zweifel und Idealen. So stellt Chechen no Namida (Tränen in Tschetschenien) den Alltag in Grosny mit Mord, Vergewaltigung und Todschlag, dem friedlich dahinplätschernden Alltag Tokios gegenüber. Guantanamo no Yoru (Die Nacht in Guantanamo) prangert die lebensunwürdigen Haftbedingungen in Guantanamo und jener Tokioter Haftanstalt, in welcher seit über 30 Jahren Daidoji und Masunaga (linksradikale Japanische Terroristen - von Daidoji handelt Daichi no Buta) auf ihre Hinrichtung warten, in der symbolträchtigen Sprache der Haiku-Dichtkunst an. Ähnlich handeln Fukou no Kami (Der Gott des Unglücks) dessen Text aus der Feder Sakae Osugis stammt, des führenden Anarchisten Japans, welcher im Chaos des großen Tokioter Erdbebens 1923 von der Geheimpolizei ermordet wurde, und Poa, ein Track über die Aum-Sekte Shoko Asaharas, von Terror, Umsturz und Anarchie.
Von der Unmöglichkeit echte Liebe zu finden wird in in Ai ga nai (Keine Liebe), das von jungen Japanerinnen, die sich für Gucci Taschen prostituieren, handelt, ebenso erzählt, wie im Titelstück, der Hymmne Sekai Chinbotsu (Die Welt versinkt), einer Geschichte inspiriert vom Film "Nihon Chinbotsu" (Japan versinkt). Tiefer in Perversionen dringt Kiri no Naka (im Nebel) vor. Inspiriert vom gleichnamigen Buch Issei Sagawas, der Mitte der 80er als Austauschstudent in Paris eine belgische Kommilitonin aus Liebe verspeiste, birgt es die Erkenntnis, dass sich Liebe nicht verewigen lässt. Auch nicht durch Fressen. Alles bleibt Neurose oder Illusion - Irozakari (Blütezeit).
Shinto (Der Göttliche Weg), von Hans Platzgumer (Queen of Japan, Convertible & many more) 1998 zusammen mit dem in Tokio geborenen CaMi Tokujiro gegründet, präsentieren mit Sekai ihr viertes Album nach Liberal Bullshit (1999, Disko B), dem ebenfalls konzeptionell in sich geschlossenen Shonen-A (intermedium records/Bayerischer Rundfunk), - 2002 mit der Worldmedal des New Yorker Radioprogramming Festivals ausgezeichnet, und Kibou, 2003 auf Playhouse und dem japanischen Kultlabel God Mountain erschienen. Ein innovativer Mix aus Japan- und Indie-Pop, Elektro und Weltmusik-Anleihen in dem der charismatische Gesang CaMi Tokujiro's mit betörender Exotik und Hans Platzgumers Musik in ihrer eingängigen Klarheit zur kongenialen Symbiose finden. Herausragend sind die Tombak- und Daf-Einspielungen des persischen Gastpercussionisten Saam Schlamminger (aka Chronomad) und des Schlagzeugers Thomas Wühr (Convertible, Kamerakino).
Die Thematik von Sekai spiegelt sich auch in der Covergestaltung von Georg Wagenhuber: Weltkugel und Zelle verschmelzen in der Japanischen Kaiserflagge zu einem. Makro- und Mikrokosmos, vereint in der Illusion von Wirklichkeit: der eines Terroristen, eines Ausgestoßenen oder eines Liebe suchenden.
(Tomoroh Hidari, Wien 01/06)