Parasyte Woman - Homeless Information
PARASYTE WOMAN: "Homeless Information" (Echokammer / YRUSMTSIM) Unter einem Parasit (griech. pará-sitos: neben, mit oder bei einem anderen essend; lat. parasitus: Tischgenosse) verstand man in der Antike einen geachteten religiösen Beamten, dessen noble Aufgabe es war in einer öffentlichen Zeremonie zusammen mit Priestern und Göttern das kultische Opfermahl einzunehmen. Ein Bindeglied zwischen Himmel und Erde. Parallel ging man dazu über Unterhaltungsspezialisten, die herrschaftliche Gastmähler durch ihre Anwesenheit gesellig zu gestalten wussten, als Parasiten zu bezeichnen. Ab diesem Moment erlebte der Begriff, seine gesellschaftliche Stellung anbelangend, einen stetigen Niedergang. 2011 geschieht in unserer säkularisierten Salonkultur nun etwas Seltsames, Unvorhergesehenes: Das antike Amt des Parasiten wird durch Parasyte Woman wiederbelebt, gleichzeitig der Bruch mit dessen patriarchalischer Bekleidung vollzogen. Das gelingt natürlich nur mit einer List: Parasyte Woman kommen in finsterster Nacht. "Homeless Information" zum ersten Mal nachts allein im Bett hören und denken: Zu zweit geht es auch! Parasyte Woman sind, falls Sie das noch nicht wissen sollten, ein Duo. So wie Yello auch ein Duo sind, oder DAF, oder Silicon Soul, Les Rita Mitsouko, Modern Talking oder Hype Williams. Es geht eben auch zu zweit. Ab und zu mit einer Taschenlampe im Bett das Booklet mit den Collagen von NANA DIX anknipsen, darin blättern wie in einem Geschichtsbuch: TOBIAS LAEMMERT hatte schon vor ein paar Jahren als PROTEIN ein liebevoll ausdetailliertes Soundpuzzle entworfen, welches mit dem Titel "Süss" von GOMMA veröffentlicht wurde. Wie durch ein noch feiner gewobeneres Klangnetz schweben hier nun die ätherischen keyboard- und synthesizersoundcluster von MANU RZYTKI, sonst auch aktiv bei SALEWSKI oder KAMERAKINO, die ebenfalls bei GOMMA debütiert hatten. Und über Allem schwebt, dribbelt und tanzt ihre ausgebildete Gesangsstimme. Bei wiederholtem Hören entdeckt man immer neue Spuren - diese Platte hat viele Gesichter und Masken. Mal trifft man auf Honky Tonkesque Gitarrenläufe, mal auf ein dampfendes Nebelhorn in aeternitate sinkender wie winkender Melodien. Immer wieder Geisterstimmen. Ein ungeheuerlicher Organismus ist diese Musik, je tiefer man in ihn vordringt, desto mehr wähnt man sich in einem schwül fletschend und schmatzenden Dschungel. Schlägt hier das Herz der Finsternis? Ein Synkretismus aus Black Music und Vaudeville, Triphop und Oper, Witch House und Boogie, Dub und Pop schlägt einen in seinen Bann. Wie ein ghostwriter kritzle ich im Dunkeln rasch ein paar Worte auf Papier: Selbst wenn du die Augen verschliesst - die Information kommt auch zu dir! ist Parasyte Woman Blindenmusik? Molemusic? Nein nein, auch wenn lange genug in einem Erdloch an dieser Musik gebrütet wurde, die Aufzeichnungen die dort unten gemacht wurden sind für uns hier oben bestimmt. The sun is sinking down in the west - wir sind es gewohnt der untergehenden Sonne nachzublicken. Spätestens wenn der Abend naht, wandert unser Blick gen Westen. Ob Weltuntergangs- oder Aufgangsmusik, das ist noch unklar, klar ist: das hier ist Traummusik, Nachtmusik. .ExternalClass .ecxhmmessage P {padding:0px;} .ExternalClass body.ecxhmmessage {font-size:10pt;font-family:Tahoma;} Parasyte Woman kommen aus dem Erdinneren nach oben wie aus einem Verließ für Aussätzige. Gleich Pilzen wohnt in ihrer Musik eine Kraft inne, die gefährlich sein kann oder uns Augen und Ohren zu öffnen weiß. (Dark sides of the moonchild: was wenn die Hexen wirklich wiederkommen? wenn die dunklen Mächte als femmes fatales durch die Welt geistern und ehe wir uns versehen es an allen Ecken und Enden spukt? wenn wir merken, daß es Gründe gab für die Exorzismen, die heute irrational und wahnsinnig erscheinen? Woher kommt alles Bestialische? Woher kommt das Böse? Wieso gibt es die Mafia? Ist Mißtrauen ein Virus, der um sich greift, oder ist es Fremdbestimmung? Geister fahren durch die Nacht. Und irgendwo auf der Welt ist immer Nacht.) Und auf Einmal ist Alles wieder Spiel. Erinnern wir uns: Die Pest wurde in München in dem Moment besiegt, da die Schäffler auf die Straßen gingen, um tanzend schließlich die Angst in die Flucht zu treiben. Da kann schon mal passieren, was der Dame in "Girls In Pyjamas And Plants That Dance" passiert - während einem Business workouttrip auf den Bahamas von tanzenden Pflanzen bezirzt der Zivilisation für immer abhanden zu kommen. Steckt ein haitianischer Vaudou-Zauber dahinter? Nicht nur Maya Deren würde es wissen, auch Grace Jones müsste es wissen, sie nahm 1980 ihre besten Platten auf den Bahamas auf, in Nassau. Im Volksmund ist der Parasit übrigens auch ein Nassauer. Angeblich kauft ja heute keiner mehr Platten. Michel Serres, dessen Buch "Der Parasit" ebenfalls 1980 erschien, glaubt dass es sich bei der Debatte um "parasitäre" Strategien wie illegales Download um ein Ablenkungsmanöver handelt. Abgelenkt werden soll von den Versuchen der Limitierung und Unzugänglichmachung einst öffentlicher und allgemeinnütziger Teile der Welt, bis hin zu Ressourcen von letaler Bedeutung. Von Vermögensschiebereien und Machtakkumulationen. "Was in der Wissenschaft derzeit schlimm ist, ist dass die Firmen ihr Wissen kaufen und es deshalb geheim halten wollen. Und deshalb werden die Piraten morgen die sein, die im Recht sind. Man wird das Geheimnis piratieren." Darum geht es auch in "Homeless Information": Das Wissen um die Realitäten, die uns umgeben und uns ausmachen darf nicht weiter zu Geheimnissen verkommen. Unsere real existierende Welt ist uns lange genug geheim gehalten worden. Lasst uns die Besitzverhältnisse klären! Für einen Augenblick flackern "The Limits Of Control" von schwarz-Träger Jarmusch auf - die Informationskette erreichte ihr Ziel und keine Sicherheitsblockade konnte sie aufhalten. ein anderer Mann, der stets schwarz trug, sang in "God's Gonna Cut You Down": "...You can run on for a long time. Sooner or later God'll cut you down. What's down in the dark will be brought to the light. Go and tell that midnight rider, tell the rambler, the gambler, the back biter: Sooner or later God'll cut you down!" und Manu Rzytki singt nun fast drohend: "...You can be a lawyer, a priest or a sinner, there is no escape. Cause homeless information will catch you during dinner. You can flee the darkness or stay away from litter, but even in the sunlight it can fool you with its glitter. There is no escape, there is no hide. Sooner or later it will be inside." Das vermeintlich Böse, das Dunkle aus Tag und Nacht verbannen zu wollen - daran sind schon Generationen gescheitert. Es ist Zeit nach Hause zu kommen. Jeder braucht ein zu Hause, auch arme Teufel und Parasiten. Alles kommt ins Lot. Die disconnection zwischen Himmel und Erde ist aufgehoben. Flieg, Schmetterling, flieg! im Zwielicht blinzelnd, verlässt der ghostwriter bei Tagesanbruch die CD, noch im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen. Federico Sánchez, München 2011
tracklist:
1. homeless information 2. private motocross 3. no more cows (my rifle, my pony and me) 4. voodoo child 5. girls in pyjamas and plants that dance 6. jungle night 7. nightmare no1 8. hubbles drift 9. twilight 19191 (paris 1919) 10. doop the group