Varius Artists - 100 Minuten in der Echokammer

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HUNDERT GLÜCKWÜNSCHE UND MEHR

Wie kein anderes Label repräsentiert Albert Pöschls Echokammer den Sound of Munich Underground. Das schreibt sich schnell mal so hin, als könnte man sich diese Position relativ locker erarbeiten. Ohne jetzt das Fass mit der Underground-Mainstream-Diskussion ganz aufzumachen, behaupte ich, dass es fast ein Wunder ist, in der teuersten deutschen Millionenstadt 24 Jahre mit 100 Produktionen zu überleben, die in der Gesamtschau selbst mit diesem angeblich intelligenten Mainstream nichts bzw. allenfalls was Kommentierendes/Karikierendes zu tun haben, der die Popmusikwelt und ihren -journalismus beherrscht und sogar in den besseren Nischen eine bestürzende Menge Beachtung bekommt. Gerade jetzt im August 2024 könnte ich dieses Grußwort zum Feiertag mit Beispielen (freundlich gesagt:) zubetonieren.

Am Außenposten von Popmusik ist Echokammer ein Labor, in dem Schablonen renoviert oder weiterentwickelt werden. Disko wird (in Kenntnis des Sound of Munich selbstverständlich) neu zusammengebaut, von Punk werden die weiterhin verblüffend beliebten Klischees abgeschraubt, Electro wird mit scheinbar unpassenden Elementen versetzt usw. Das alles klingt nach einer sehr ernsten Angelegenheit. Tatsächlich aber könnte man auch einen langen Essay „Über die Komik in der Musik am Beispiel von Echokammer-Platten“ schreiben. Wobei die Komik immer karl-valentinesk bizarr-grotesk ist und nie comedy-witzig. In etwa vergleichbar mit der Taktik, Autoritäten nicht mit Gebrüll, sondern mit Verarschung anzurempeln.

Was unheimlich Bizarres passierte mir, als ich jetzt die 100 Echokammer-Teile (und damit einen erheblichen Teil meines Musiklebens) durchcheckte und plötzlich dachte: „Deutschland. Aber normal.“ Dieser Slogan der Neonazis ballerte mir in den Kopf. Verdammt fuck you, fluchte ich, kann man denn nicht mal mehr in Ruhe dieses Jubiläum feiern! Warum hat mich dieser so blöde wie feindselige Spruch angefallen wie ein Kampfhund? Weil aus der Echokammer die Tracks & Songs & Sounds kommen, die diese „Aber normal“-Germanen verachten und, wenn sie könnten, verbieten würden. Sie hassen die Lebensmittel, die uns die Echokammer liefert: das Unberechenbare-Unerwartete-Unfassbare, und das alle möglichen Grenzen Einreißende, und das Traditionen Durchleuchtende und Zerlegende, und das über angebliche Normen Lachende, und nicht zu vergessen diese Experimente, die sich sogar bis in Gelände vorwagen, in die vielleicht kaum noch jemand mitgeht, was man ja aber nicht wissen kann, wenn man´s nicht riskiert. Die Freiheit der Kunst wird nicht nur mit klaren Worten zu schönen Pianoklängen verteidigt.

Jede Echokammer-Platte war ein Abenteuer für mich. Oft gegen das, was ich (man kennt sich doch aus) erwartet hatte. Nie etwas, von dem ich nichts wissen wollte. Und manchmal war unter den nicht wenigen Alben, die mehr Hits enthalten als die Underground-Police erlaubt, so harter Stoff, dass ich nur mit medizinischer Betreuung rangehen kann. Ich fuhr oft echte 100 Kilometer und rechnete mit allem und wurde nie enttäuscht. Lieblingsbands stellten live ihre letzte Platte auf den Kopf. Befreundete Künstler*innen benutzten schon wieder andere Pseudonyme. Neue Formationen hatten sich offenbar vorhin Backstage gebildet. Musiker*innen spielten ihre Instrumente unvermutet so versiert, als wollten sie gewisse romantische Vorstellungen von Underground über den Haufen werfen. Das steht für die Haltung, mit der Echokammer produziert – über die Bedingungen schreibt Albert Pöschl in seinem Begleittext. Ohne Freundschaften, Solidarität, Courage und Selbstausbeutung wär´s nicht bis 100 gutgegangen. Es möge noch lange so wunderbar weitergehen! Wenn´s nicht mehr geht, haben wir ein Problem. Und das haben dann auch viele Leute, die keine Ahnung haben, worum´s hier ging und geht.

Franz Dobler
(Schriftsteller, DJ, Autor einiger Musikbücher, hat z.B. über Echokammers „Damenkapelle (aus München)“ in „These Girls, too – Feministische Musikgeschichten“ geschrieben (Ventil Verlag, 2022)

Tracklist:

Seite A
1. Heb 100 ab - Salewski Parlamenti
2. Temporary Secretary - Damenkapelle
3. Yamaguchi-sanchi no Tsutomu-kun - Japunk
4. Mantar I - Rumpeln
5. We are the World - Hektor & Rositha
6. The Bitch is to be - The GREAT Tyrannia
7. Thriller Night – pcn

Seite B
8. Private Motocross - Parasyte Woman
9. Transatlantik Express - Die Lore
10. Bobby Brown - Queen of Japan
11. He's lost - Tom Wu
12. Im Keller - Mosh Mosh (Buzz Taser Version)
13. Desiree Tout - Electronicat
14. Nothing like the Sun - Jason Arigato & The Sayonaras

Seite C
15. Hau ab, Du nervst - Grexits & g.rag / zelig implosion deluxxe
16. Strassenköter - Schnecken im Hochbeet
17. Boring Games - Murena Murena
18. That's how strong my Love is - 4 Shades
19. Samurai Kebap - Sasebo
20. Immer wieder - Peter Brombacher
21. Don't believe the Heimat - Suzie Trio
22. slow run - Zwinkelman

Seite D
23. Beat Report - H
24. Alter Mond - Die Moulinettes
25. Blind Song - Das Weiße Pferd
26. Enjoy Peace - Ippio Payo
27. Martellata - Babel/Fuchs